Der Einfluss anderer Kinder auf den Erstspracherwerb

Zusammengefasst von Jasmin Rimpler

Kinder lernen ihre Muttersprache(n), indem sie die Sprache(n) in ihrer Umgebung hören, verarbeiten und mit anderen sprechen. Für viele Kinder mit älteren Geschwistern oder in Kitas beinhaltet die Umgebungssprache jedoch nicht nur Äußerungen von Erwachsenen, sondern auch die anderer Kinder. Diese kindliche Sprache unterscheidet sich manchmal von der Sprache erwachsener Sprecher, z. B. aufgrund von Lautersetzungen (Tatze statt Katze).
Die Spracherwerbsforschung hat sich bisher hauptsächlich auf den sprachlichen Input konzentriert, den junge Lerner durch Erwachsene bekommen. Daher ist wenig darüber bekannt, wie Kinder Äußerungen von anderen Kindern verarbeiten und welche Rolle dieser kindliche Sprach-Input beim Erstspracherwerb spielt. Auch darüber, ob ein häufiger Umgang mit anderen Kindern die Verarbeitung von kindlicher Sprache beeinflusst, gibt es kaum Erkenntnisse.
Bernier und White (2019) haben nun untersucht, ob Kleinkinder im Alter von 21 bis 23 Monaten kindliche und erwachsene Sprache unterschiedlich verarbeiten und wie sie auf Unterschiede in der kindlichen Aussprache reagieren. Zudem untersuchten sie, welche Rolle die Erfahrung im Umgang mit anderen Kindern dafür spielt.
Die Forscherinnen nutzten das sog. Intermodal Preferential Looking Paradigm, bei dem die Kinder jeweils Bilder von zwei Objekten auf einem Bildschirm sahen. Zu jedem Objektpaar hörten die Kinder einen Satz, wie Wo ist der Ball?. Die Sätze waren entweder von einer erwachsenen Sprecherin oder einer 7-Jahre alten Schülerin gesprochen. Schaute das Kind länger zum Bild des Balles als zu dem des anderen Objekts, wurde davon ausgegangen, dass die Kinder das gehörte Wort erkannt und dem richtigen Objekt zugeordnet haben. In einem zweiten Experiment wurden zusätzliche Varianten wie Gall oder Nall statt Ball hinzugefügt, um Lautersetzungen nachzuahmen.
Durch diese Methode konnten die Wissenschaftlerinnen zeigen, dass Kleinkinder die gehörten kindlichen Produktionen auf die gleiche Weise wie die der erwachsenen Sprecherin verarbeiteten, denn sie schauten bei beiden Sprecherinnen immer länger zu dem benannten Zielobjekt als zu dem unbenannten. Außerdem beeinflussten die lautlichen Veränderungen die Blickdauer.
Dies zeigt, dass Kleinkinder Variationen in kindlicher Sprache wahrnehmen. Ein ähnliche Erkenntnis wurde in früheren Studien bereits für Äußerungen erwachsener Sprecher gezeigt, z.B. in Bezug auf unbekannte regionale Akzente (van Heugten et al. 2015). Die Erfahrung im Umgang mit anderen Kindern spielte hingegen keine Rolle bei der Verarbeitung bereits bekannter Wörter (mit und ohne lautliche Veränderung). Lediglich beim Hören neuer, bisher unbekannter Wörter schauten die Kinder, die öfter mit anderen Kindern in Kontakt kommen, länger zu den benannten neuen Objekten – unabhängig von der Sprecherin, d.h. sie konnten unbekannte Wörter den gezeigten unbekannten Zielobjekten zuordnen.
Zusammengefasst zeigt der Artikel, dass Kleinkinder Äußerungen von Kindern und Erwachsenen auf ähnliche Art und Weise verarbeiten und somit, dass auch die kindliche Sprache eine wichtige Quelle für den Erstspracherwerb sein kann.

Originalartikel:
Bernier, D. E., & White, K. S. (2019). Toddlers’ sensitivity to phonetic detail in child speech. Journal of experimental child psychology, 185, 128-147. https://doi.org/10.1016/j.jecp.2019.04.021

In der Zusammenfasung zitierte Literatur:
van Heugten, M., Krieger, D. R., & Johnson, E. K. (2015). The developmental trajectory of toddlers’ comprehension of unfamiliar regional accents. Language Learning and Development, 11, 41–65.