Warum ist Englisch dem Deutschen nicht ähnlicher?

Die Karte zeigt verschiedene Möglichkeiten, auf Mittelenglisch „nicht“ zu sagen, was einen Einfluss des Nordischen vermuten lässt Bild: George Walkden und Donald Alasdair Morrison (Quelle: http://dx.doi.org/10.1515/stap-2017-0007, CC BY-NC-ND 4.0)
Die Karte zeigt verschiedene Möglichkeiten, auf Mittelenglisch „nicht“ zu sagen, was einen Einfluss des Nordischen vermuten lässt
Bild: George Walkden und Donald Alasdair Morrison (Quelle: http://dx.doi.org/10.1515/stap-2017-0007, CC BY-NC-ND 4.0)

George Walkden, Professor für Allgemeine und Anglistische Linguistik an der Universität Konstanz, ist mit einem ERC Starting Grant des Europäischen Forschungsrates ausgezeichnet worden. In seinem Forschungsvorhaben beschäftigt er sich damit, was passiert, wenn verschiedene Sprachen in Kontakt miteinander treten und zu welchen Veränderungen dies bei Grammatik und Syntax führen kann.

George Walkden möchte mehr darüber erfahren, wie sich Sprachen verändern, wenn sie aufeinander treffen. Insbesondere interessiert er sich dafür, welchen Einfluss dies auf die Grammatik und auf die Struktur von Satzteilen oder ganzen Sätzen hat. Zur Bearbeitung dieser und verwandter Fragestellungen ist er nun mit einem renommierten ERC Starting Grant des Europäischen Forschungsrates (ERC) in Höhe von knapp 1,5 Millionen Euro ausgezeichnet worden. Der Preis wird im Rahmen des EU Framework Programme for Research and Innovation, Horizon 2020, vergeben.

George Walkden wurde an der Universität Cambridge ausgebildet und ist seit 2017 Professor für Allgemeine und Anglistische Linguistik am Fachbereich Linguistik der Universität Konstanz. Zu seinen besonderen Forschungsinteressen gehören die historische Linguistik und der Sprachwandel, insbesondere der morphosyntaktische Wandel. Ein spezielles Studienobjekt sind dabei die germanischen Sprachen.

„Der ERC Starting Grant erlaubt mir, Sprachwandel unter sehr breit gefächerten Gesichtspunkten zu erforschen“, erklärt Walkden. „Im Kern möchte ich verstehen, wie verschiedene Situationen, in denen Sprachen aufeinander treffen, deren Syntax über den Lauf ihrer Geschichte hinweg beeinflusst haben. Seitens der Wissenschaft besteht bereits ein relativ großes Interesse daran, wie Sprachkontakte sich auf die Struktur von Sprache auswirken, insbesondere auf die Morphologie – also die Struktur und Gestalt – von einzelnen Worten. Aber bislang gibt es wenig Forschung speziell zur Syntax. Hier knüpft mein Vorhaben an. Das Ziel ist, so viele Sprachen wie möglich zu untersuchen, um die Theorie ausgiebig zu testen. Darunter werden auch Sprachen sein, die außerhalb Europas gesprochen werden.“

Walkdens Theorie zum Sprachwandel basiert auf der Beobachtung, dass Menschen, die eine zweite Sprache lernen, einfach deshalb dazu neigen, „Fehler“ zu machen, weil es viel schwerer ist, zu einem späteren Zeitpunkt eine neue Sprache zu erlernen, als beispielweise im Babyalter. Er möchte nicht nur verstehen, warum es so schwer ist, eine zweite Sprache zu lernen, er ist insbesondere auch an den Langzeitfolgen interessiert: „Nimmt man etwa eine Bevölkerung an, in der viele Individuen dieselbe Sprache als Fremdsprache erlernt haben, dann ist anzunehmen, dass die ‚Fehler‘, die sie begehen, irgendwann Einzug in die Grammatik dieser Sprache halten. Menschen, die beispielsweise Deutsch als Fremdsprache lernen, kann es schwerfallen, die verschiedenen Wortendungen richtig anzuwenden. Wenn es genug Menschen gibt, die dieselben Schwierigkeiten beim Erlernen einer Sprache haben, dann ist es nach der Theorie wahrscheinlich, dass sich dies auch auf den Sprachgebrauch im weiteren Sinne auswirkt.“

Syntax erklärt Walkden als eine Kombination von Worten oder Einheiten zu Satzgliedern oder ganzen Sätzen. Es wird generell angenommen, dass die Mechanismen, die angewendet werden, um Worte zu Einheiten zu formen, mehr oder weniger angeboren, also Teil des Menschseins, sind. „Die einzelnen Elemente, die zusammengefügt werden, sind allerdings nicht angeboren. Wir alle müssen sie erst erlernen“, sagt er. Diese Elemente bestehen aus syntaktischen Merkmalen, die darüber entscheiden, wie genau Sätze zusammengefügt werden. Diese Merkmale können entweder sinnvoll oder sinnlos sein, was in der Fachsprache der generativen Syntaxtheorie mit den Begriffen interpretierbar oder nicht interpretierbar betitelt wird. „Ein klassisches Beispiel eines Merkmals, dass semantisch nicht interpretierbar ist, ist das Geschlecht im Deutschen. Nichts am deutschen Wort für Auge ist in besonderem Maße geschlechtslos, obwohl der entsprechende Artikel dafür verwendet wird, genauso wenig wie der weibliche Artikel, der für das Wort Nase verwendet wird, etwas über das Geschlecht der Nase aussagt. In diesem Fall ist das Geschlechts-Merkmal nicht interpretierbar.“

Die Forschung legt nahe, dass genau diese nicht interpretierbaren Merkmale besonders anfällig sind, wenn Menschen eine Fremdsprache erlernen. Walkdens Hypothese ist, dass diese Merkmale mit der Zeit sogar ganz verschwinden, wenn eine ausreichende Anzahl von Lernenden involviert ist. Es wird vermutet, dass ein solcher Vorgang die Entwicklung des Englischen maßgeblich geprägt hat, das im Mittelalter besonders von Kelten und Wikingern als Zweitsprache erlernt wurde. „Das ist auch der Grund, warum ich an dem Thema so interessiert bin“, sagt Walkden. „Die Frage, die sich mir bei meiner Arbeit zu den individuellen Veränderungen, die in der Geschichte des Germanischen stattgefunden haben, immer wieder stellte, war: ‚Warum unterscheidet sich das Englische so sehr vom Deutschen?‘“ Wie Deutsch, Holländisch oder Isländisch stammt auch Englisch vom Proto-Germanischen ab. Und doch unterscheidet es sich sehr von diesen Sprachen: „Es gibt im Englischen nicht nur viele dem Französischen oder Lateinischen entliehenen Worte. Auch die Grammatik und Struktur sind sehr verschieden. Eine Morphologie existiert eigentlich gar nicht. Ich möchte wissen, wie diese Unterschiede zustande gekommen sind.“

George Walken glaubt, dass tieferliegende Muster vorliegen, nach denen es sich lohnt, zu suchen: „Seit Chomskys früher Arbeit zur Syntax wird oft angenommen, dass syntaktische Struktur dem Menschen größtenteils angeboren ist. Unter anderem aus diesem Grund wurde auch in der jüngeren Linguistik bislang kein Zusammenhang zwischen individuellen Arten von Sprachen auf struktureller Ebene und dem historischen Kontext, aus dem sie hervorgegangen sind, postuliert. Die bisherige Forschung legt nahe, dass die Annahme des Angeborenseins korrekt ist. Ich frage mich jedoch, was mit den Teilen der Syntax ist, die nicht angeboren sind, sondern erlernt werden. Was mich daran interessiert ist, ob auch hier Muster vorliegen, nach denen sich Sprachwandel vollzieht.“

Faktenübersicht:

  • ERC Starting Grant für George Walkden, Professor für Allgemeine und Anglistische Linguistik am Fachbereich Linguistik der Universität Konstanz
  • Projekt zum Sprachwandel, der durch den Kontakt zwischen Sprachen zustande kommt, sowie zu den Langzeitauswirkungen auf die Syntax und Grammatik der beteiligten Sprachen
  • Finanziert vom Europäischen Forschungsrat (ERC) im Rahmen des EU Framework Programme for Research and Innovation, Horizon 2020
  • Fördersumme: ca. 1,5 Millionen Euro
  • Förderdauer: fünf Jahre