Mit großer Bestürzung und tiefer Trauer müssen wir mitteilen, dass Urs Egli am 1. Juli 2018 völlig überraschend verstorben ist. Er war bis zu seinem plötzlichen und unerwarteten Tode aktiv und konnte seinen intellektuellen, sozialen und familiären Tätigkeiten ohne Einschränkung nachgehen.

Mit Urs Egli verliert die Sprachwissenschaft in Konstanz und in Deutschland nicht nur eine außergewöhnliche Forscherpersönlichkeit, sondern auch einen Menschen, der einen für das letzte Jahrhundert exemplarischen intellektuellen Lebenslauf hatte. Er wurde 1941 in der Nähe von Bern geboren. Von 1960 bis 1967 studierte er an der Universität Bern Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft und Griechische sowie Lateinische Philologie, unterbrochen durch ein Semester an der Universität Fribourg/Freiburg, Schweiz. 1964 studierte er zudem mathematische Logik an der Universität Neuchâtel/Neuenburg und verbrachte das akademische Jahr 1967/68 an der Universität zu Köln am Institut für vergleichende Sprachwissenschaft bei Hansjakob Seiler. Ein zeitgleiches Stipendium an das MIT bei Noam Chomsky konnte er aus gesundheitlichen Gründen nicht antreten. 1967 bestand Urs Egli das Berner Diplom für das Gymnasiallehramt (Griechisch und Latein) und im gleichen Jahr wurde er bei dem Altphilologen Willy Theiler mit der Dissertation „Zur Stoischen Dialektik“ promoviert. In dieser interdisziplinären Arbeit konnte er durch die Kombination neuester sprachwissenschaftlicher Methoden, der mathematischen Logik und detaillierter philologischer Arbeit Teile der stoischen Sprachtheorie rekonstruieren. Dieser lebenslange Forschungsschwerpunkt führte später zu einem Projekt über die stoische Logik und Semantik, in dessen Rahmen Karlheinz Hülser in vier Bänden „Die Fragmente zur Dialektik der Stoiker“ sammeln und veröffentlichen konnte. 

Während sich Urs Egli in seiner Promotionszeit neben Griechisch, Latein und Indogermanistik mit der sich gerade entwickelnden Transformationsgrammatik beschäftigte, lernte er in Köln die neuesten Entwicklungen in der formalen Semantik (Montague) kennen und begann einen zweiten Forschungsschwerpunkt im Bereich der formalen Semantik aufzubauen. So habilitierte er 1973 mit der Arbeit „Integration der Semantik in die Grammatik“ an der Universität Bern bei dem allgemeinen Sprachwissenschaftler Georges Redard. 1975 wurde er als Professor für Allgemeine Sprachwissenschaft an die 1966 gegründete Universität Konstanz berufen und war dort bis zu seiner Pensionierun 2006 in Forschung, Lehre und akademischer Verwaltung aktiv. Er leitete zwei Forschungsprojekte in dem Sonderforschungsbereich 99 „Linguistik“ und entwickelte seine Analysen zu Fragensemantik und Anaphern weiter und trug so wesentlich zu der intellektuell so sprühenden Atmosphäre der Konstanzer Linguistik bei. In dem Forschungsprojekt „(In)definitheit“ zu Beginn der 1990er Jahre hat er den Epsilon-Operator in die semantische Diskussion eingeführt, der später als Auswahlfunktion (‚choice function’) eine hohe Bekanntheit erhielt. Ende der 1990er Jahre leitete er ein Projekt zur „diachronen Semantik“, ein Thema, das ebenfalls in den letzten Jahren eine ausgesprochen hohe Forschungsdynamik zeigt. Eine Zusammenschau strukturalistischer, generativer und semantischer Theorien hat er zusammen mit seiner Frau Renata in der Monographie „Sprachsysteme – logische und historische Grundlagen der erweiterten Phrasenstrukturgrammatik“ vorgelegt. Viele seiner Schriften sind aus seinen so engagierten wie didaktisch überzeugenden Lehrveranstaltungen hervorgegangen. Er hat bis zu seiner Pensionierung vielen jungen Menschen die Freude und das Interesse an der Sprachwissenschaft vermitteln können.

Auch nach seiner Pensionierung hat er sich weiter mit den intellektuellen Herausforderungen der griechischen Philologie, der stoischen Logik und der modernen Semantik beschäftigt. Darüber hinaus hat er seine Frau intensiv bei der Planung und Durchführung eines philosophischen Cafés unterstützt – ganz im Sinne der weltoffenen Ethik der Stoa, einer niemals aufdringlichen, aber dennoch nachhaltig aufgeklärten und tief didaktischen Gesinnung.

Am 1. Juli 2018 hat sich Urs Egli ohne Ankündigung leise verabschiedet. Wir trauern mit seiner Familie um einen außergewöhnlichen und hochgeschätzten Forscher, engagierten Lehrer und Kollegen.

Prof. Klaus von Heusinger (Köln)